Eine Fachstelle, die das individuelle Menschsein zum Maßstab ihres Verstehens und Handelns macht, ist vor folgende Fragen gestellt: Was brauchen Menschen heute an Ich- gemäßer Unterstützung, um in die eigene Entwicklung zu kommen? Wie können Grenzen, Sackgassen, Krisen, Behinderungen als Potenzial für neue Entwicklungsschritte gesichtet werden? Welchen Umraum benötigen diese Begleitungsprozesse? Wie lassen sich dafür neue, menschliche Zusammenhänge gestalten, die neue Arbeitsformen hervorbringen?
Die Fachstelle Maßstab Mensch ist eine psychosoziale Beratungsstelle für Menschen, die durch Krankheit, Behinderung oder Lebenskrisen Unterstützung suchen. Sie suchen Unterstützung in lebenspraktischen Fragen rund um das Thema Wohnen und Arbeiten, in Gesundheits- und Behandlungsfragen, in rechtlichen Fragen und bei Behördenangelegenheiten. Bisherige Nutzer der Fachstelle Maßstab Mensch sind Menschen, die im bestehenden Hilfesystem an Grenzen kommen oder aus vorhandenen Angeboten herausfallen, aber auch Menschen, die erst gar nicht in das Hilfesystem hinein finden, weil sie individuelle Lebens- und Arbeitsformen für sich suchen. Es erreichen uns aber auch Anfragen von Angehörigen, Berufsbetreuern, Einrichtungen und Behörden.
Martina Rasch und Roland Wiese, langjährig tätig in der ambulanten Begleitung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und in der Entwicklung Ich-gemäßer Hilfen, Reiner und Katrin von Kamen, langjährig tätig in der sozialtherapeutischen Einrichtung auf dem Bauckhof Stütensen und Christian Hardemann, Begründer und Leiter der Systemischen PROzess Manufaktur Bassum, der mit seinem Team insbesondere, junge psychisch erkrankte Menschen ambulant begleitet, haben sich zur Fachstelle Maßstab Mensch zusammengeschlossen, um ihr professionelles Knowhow zu bündeln und für die Entwicklung und Begleitung neuer, individueller Angebote nutzbar zu machen. Unsere unterschiedliche räumliche Verortung ermöglicht es uns, überregional tätig zu sein. Wir werden seit zwei Jahren als Starthilfeprojekt von Aktion Mensch und Anderen gefördert, mit der Zielrichtung neue, inklusive Wohn- und Arbeitsformen mit und für Menschen mit Behinderungen zu entwickeln und durchzuführen.
Als unabhängige Fachstelle unterstützen wir Menschen in ihren Intentionen unbefangen und ergebnisoffen und stellen uns als Partner in die individuellen Suchbewegungen und das Entwicklungsgeschehen mit hinein. Dadurch kommen wir in Kontakt mit Bedürfnissen und Wünschen konkreter einzelner Menschen, ihren Notlagen und Schwierigkeiten, die wir als Entwicklungsintentionen ernst nehmen und zu unserer Sache machen, auch wenn die Möglichkeiten der Realisierung erst noch gefunden werden müssen. Eine Intention bringt sich dabei häufiger als Schwierigkeit, als Grenze, als Stagnation in der individuellen und sozialen Entwicklung zum Ausdruck, als in einer selbstbewussten und selbstbestimmten Äußerung. Hier geht es deshalb zunächst darum, die eigentliche Intention unter Einbeziehung des bisherigen, sozialen Umfelds freizulegen, gemeinsam zu verstehen und dann zu einem neuen Ausgangspunkt für nächste Suchbewegungen zu formieren.
Im ländlichen Raum finden Menschen mit Unterstützungsbedarf im Vergleich zum städtischen Raum deutlich weniger ambulante, als stationäre Hilfen im Wohnen. Das hat zum einen mit den besonderen Mobilitätshindernissen im Ländlichen zu tun, die die Möglichkeiten hier selbständig zu leben für Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, zusätzlich erschweren. Aber auch die ambulanten Anbieter von Hilfen sind durch die räumlichen Distanzen auf dem Land eingeschränkt, wenn sie kostendeckend tätig sein wollen.In Niedersachsen erhalten Menschen mit Behinderungen im ambulant Betreuten Wohnen durchschnittlich 2,7 Std. Betreuung in der Woche. Wer mit diesem Zeitkontingent nicht auskommt, lebt im Wohnheim, bleibt in der Familie oder zieht in die Stadt. Um Inklusion im ländlichen Raum zu realisieren, wird es deshalb sicher notwendig werden, Familien und Nachbarschaften in die sozialen Unterstützungen aktiver mit einzubeziehen.
Es zeigt sich, dass die Intention von Menschen mit Unterstützungsbedarf zunehmend genau in diese Richtung weist: sie suchen „normale“, überschaubare, nachbarschaftliche Lebensumgebungen, die ihnen die Verlässlichkeit, Orientierung und Tragfähigkeit zu geben vermögen, auf die sie angewiesen sind. Sie wollen nichtnur Empfänger von Hilfen sein, sondernsich mit ihren Fähigkeiten einbringen können. Es werden menschliche Lebensräume gesucht, die Teilhabe und Mitwirkung(!) ermöglichen.
Im ländlichen Raum sind es oft Bio-Höfe und landwirtschaftliche Betriebe, die bezüglich sozialer Dienstleistungen und Arbeitsangebote für Menschen mit Unterstützungsbedarf angefragt werden. Als Netzwerk Maßstab Mensch haben wir in den vergangenen Jahren zusammen mit Höfen und Einrichtungen, neue, inklusive Lebens- und Arbeitsangebote für Menschen mit Unterstützungsbedarf entwickelt und realisiert.
Die Fachstelle Maßstab Mensch gestaltet das Kennenlernen und die Vermittlung von Interessenten und Höfe, sie begleitet die Anbahnung und unterstützt bei der individuellen Hilfeplanung und der späteren Begleitung. Als Fachstelle übernimmt sie die Kommunikation mit den Kostenträgern, um individuelle Vereinbarungen für diese neuen Hilfen zu verhandeln. Dazu haben wir entsprechende individuelle Vertragsformen entwickelt, in denen das individuelle Angebot des Hofes und die Kooperation mit der Fachstelle beschrieben sind. Die Fachstelle übersetzt gegenüber der Umwelt die Angebote in die soziale Fachsprache, z.B. als „Betreutes Leben in Gastfamilien“, als „tagesstrukturierende Teilhabe- Angebot unter Nutzung einer Hofgemeinschaft, aber auch als „Arbeit in der Landwirtschaft und Hauswirtschaft im Rahmen eines ausgelagerten Werkstatt- Arbeitsplatzes“. Neu bei unserem Projekt ist, dass der Hof immer Lebens- und Arbeitsort bleibt – und nicht zur Einrichtung wird!
Eine Ausweitung dieser Kooperation mit Höfen auf Familien und Nachbarschaften würde nach unseren bisherigen Erfahrungen, die Möglichkeiten für Menschen mit Unterstützungsbedarf insbesondere im ländlichen Raum vergrößern.
Als Fachstelle für Soziale Arbeit beraten wir auch Einrichtungen, Behörden, Ausbildungen, wie die Freie Ausbildung und Verbände und beteiligen uns an regionalen und überregionalen Netzwerken und Projekten. Unser spezieller Fokus liegt darauf, die Verständnisgrundlagen für Ich- Entwicklung in bestehenden Unterstützungs- Angeboten anzuregen und mit zu gestalten. Wir sind eingebunden in die wissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Forschungs- und Bildungsarbeit des Institutes „meso – menschliche Entwicklung und soziale Gestaltung“, in dessen Rahmen wir Weiterbildungen und Forschungstreffen zur Ich- Entwicklung anbieten. Es besteht in der menschenkundlichen Grundlagenarbeit eine langjährige Zusammenarbeit mit der Delos- Forschungsstelle für Psychologie in Berlin- Eichwalde.
Fazit: Nur eine wirklich unabhängige und freie Unterstützung von Menschen auf ihren Entwicklungswegen, frei von Definitionen und Diagnosen, kann das Ich-Potential in der jeweiligen Lebenssituation freilegen und unterstützen. Dazu braucht es Menschen mit Gestaltungswillen, Zeit und Kompetenz, es braucht örtliche und menschliche Zusammenhänge zur Entwicklung und Erprobung dieser neuen Praxis und es braucht eine Finanzierung, die zunächst nur ermöglicht, dass Prozesse aus dieser intentionalen Bezugnahme stattfinden können. Wir können als erfahrene Sozialarbeiter individuelle Rechtsansprüche realisieren, wir können auch Zuwendungen bei den unterschiedlichen Stiftungen akquirieren – aber alle diese Hilfen haben immer die Tendenz nicht ergebnisoffen zu sein, nicht mit einer Dimension wie ‚Schicksal‘ rechnen zu können. Eine solche freie und individuelle Soziale Arbeit wird deshalb selbst auf Unterstützung angewiesen bleiben. Mit anderen Worten, wir freuen uns über jeden Förderer unserer Arbeit, der eine solche Arbeit für notwendig erachtet!